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Samstag, 29. Juni 2002 Ende der LegendeRezension von Kai-Uwe Scholz über das Buch von Maike Bruhns Kunst in der Krise.
Neue Zürcher Zeitung Hamburger Kunst im „Dritten Reich“Die opulente Dokumentation verfolgter Kunst räumt mit der beliebten Vorstellung eines liberalen Hamburger Sonderwegs in der NS-Kulturpolitik auf. Wie viele menschliche Schicksale und welch lebendige Szene zerstört wurden, zeigt die Publikation „Kunst in der Krise“ der Kunsthistorikerin Maike Bruhns. Von Kai-Uwe Scholz Künstlerfest in Hamburg, Anfang 1933: Mit Luft voll gepumpt, richtet sich langsam eine aufblasbare Riesenpuppe auf. Der angeklatschte Scheitel und das alberne Bärtchen unter der Nase sind unverkennbar: „Hipp, die ewige Dummheit“ wird auf der Bühne des Hamburger Curiohauses am Mittelweg vorgeführt – und sofort als dreidimensionale Hitler-Karikatur identifiziert. „Krawall im All“ lautete das provokante Motto des Künstlerfestes, auf dem kurz vor der nationalsozialistischen Machtergreifung noch derlei kritische Einlagen gewagt wurden; der Name entpuppte sich als böses Omen. Nur wenige Wochen später waren Krawallmacher in braunen Uniformen auf den Straßen allgegenwärtig und als Hilfspolizisten allmächtig. Die auf ihre Eigenständigkeit so stolze „Freie und Hansestadt“ durfte bis 1945 nur noch als „Hansestadt Hamburg“ firmieren. Und auch die Künste und Künstler wurden ihrer Freiheit beraubt. Wie viele menschliche Schicksale und welch lebendige Szene dadurch zerstört wurden, zeigt die Publikation „Kunst in der Krise“ der Kunsthistorikerin Maike Bruhns. Den Bestrebungen der Moderne aufgeschlossen gegenüberstehende Aktivisten hatten die kulturelle Szene der konservativen Kaufmannsstadt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs aufblühen lassen. Schon vor 1918 hatte der Landgerichtsdirektor und Grafikkenner Gustav Schiefler hier erste Werkverzeichnisse von Liebermann, Munch, Nolde und Kirchner erarbeitet, Ausstellungen organisiert und durch sein Engagement wichtige Impulse gegeben. Diese Anregungen wurden von Museumsmännern wie Max Sauerlandt und Carl Georg Heise, von den Künstlern der Hamburgischen Sezession und anderer progressiver Gruppen aufgegriffen, unter ihnen Friedrich Ahlers- Hestermann und der aus Aarau gebürtige Karl Ballmer, Richard Haizmann und Ivo Hauptmann, Naum Slutzky und Johannes Wüsten. „Die Hamburgische Sezession war eine ideale Künstlervereinigung“, formulierte rückblickend Karl Kluth: „Alle wurden Freunde. Neben den mit jugendlichem Ernst und der Aufbruchsfreudigkeit der zwanziger Jahre gestalteten Ausstellungen waren es die unvergesslichen Sezessionsfeste ‘Zinnober’, die die Verbindung zur Hamburger Gesellschaft herstellten.“ Die großen, drei Tage und Nächte dauernden Hamburger Künstlerfeste der „Roaring Twenties“ waren legendär. Die Handelsstadt – die bis dahin auch Geistesgüter lieber importiert hatte, statt sie selber zu erzeugen – schien nun eine eigene kulturelle Ausstrahlung zu entwickeln: „In jenen Jahren tauchte zum ersten Male der Begriff ‘Hamburgische Malerei’ im gesamtdeutschen Kunstleben auf.“ Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden diese vielversprechenden Ansätze brüsk beendet. Es lasse sich feststellen, bilanziert Bruhns, „dass spätere Konstellationen nicht wieder an die Qualität und Vielseitigkeit dieser Jahre heranreichten“. Minuziös schildert die Autorin im ersten Band ihrer fast monumental zu nennenden Arbeit die Ausgangslage und die administrativen Schritte, die allen künstlerischen Bestrebungen allmählich das Leben austrieben. Dass die NS- Kunstpolitik tödliche Folgen hatte, zeigt das umfangreichste Kapitel mit der Überschrift „Folgen für die Künstler: Flucht – Vertreibung – Vernichtung“. Bruhns weist nach, dass die immer noch weit verbreitete „Hamburg-Legende“ – die Auffassung nämlich, in der liberalen Hafenstadt sei während der NS-Zeit „alles nicht so schlimm“ gewesen – auch für den Bereich der Kunst jeder Grundlage entbehrt. Der Bildanhang des Buches führt zugleich vor Augen, dass die Zeit politischer Willkür und Verfolgung auch Entwicklungen in der Bildsprache mit sich brachte, die ebenso bedrückend wie beeindruckend sind. Dunkle Himmel, menschenleere Stadt- und Deichlandschaften, Mutationen von Bäumen und Pflanzen zu geisterhaften Wesen zeigen, wie unheimlich eine ursprünglich vertraute Umgebung geworden ist; versperrte Ausblicke, gekoppelt mit einer Häufung von Hafen- und Dampfermotiven, zeugen davon, wie sehr sich die Künstler aus den bedrängenden Umständen fortsehnten; Selbstporträts weisen Anzeichen tiefer Verstörung auf. Die Schicksale der Einzelnen lassen sich im ebenso minuziös gearbeiteten zweiten Band, dem „Künstlerlexikon Hamburg 1933-1945“, nachlesen. Von ihrer Dissertation über die Künstlerin Anita Rée ausgehend, hat die Autorin in 17-jähriger Recherche zahlreiche Akten-, Brief- und Nachlassbestände durchgearbeitet und sich so in den Stand gesetzt, das einstmals so lebendige Geflecht von freundschaftlichen Verbindungen und künstlerischen Einflüssen für den Leser wiedererstehen zu lassen. Das Buch wirft selbst dort Gewinn ab, wo es Namen ins Gedächtnis zurückruft, die zu Recht einer „damnatio memoriae“ hätten anheim fallen können. Als Beispiel sei der dubiose Kunsterzieher Walter Hansen genannt, der in der zweiten Hälfte der dreissiger Jahre zusammen mit dem NS-Maler Wolfgang Willrich antrat, um den letzten progressiven Tendenzen den Garaus zu machen. Bedingt durch den politischen „Polyzentrismus“ im nach außen streng hierarchisch strukturierten Führerstaat, war die Linie der NS- Kunstpolitik in den ersten Jahren durchaus nicht einheitlich und hatte mancherlei Freiräume gelassen. Das unselige Gespann Hansen/Willrich wütete in der Folge so fanatisch gegen bildende Künstler wie Ernst Barlach, aber auch gegen den Schriftsteller Gottfried Benn, dass es von „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler persönlich zur Mäßigung angehalten wurde. Während das Wirken von Willrich, Verfasser einer „kunstpolitischen Kampfschrift zur Gesundung deutscher Kunst im Geiste nordischer Art“ mit dem Titel „Säuberung des Kunsttempels“, gut dokumentiert ist, war über seinen subalternen, gleichwohl eine nicht minder verheerende Wirkung entfaltenden Mitstreiter bislang kaum etwas bekannt. Bruhns hat aus vielfältigen Archivalien Informationen herausgefiltert und zu einem Persönlichkeitsbild verdichtet, dessen Psychostruktur Bände spricht: Eine gescheiterte Existenz war es, die zahlreiche hoffnungsvolle Begabungen in Existenznot brachte. So wird deutlich, dass es sich bei dem Werk von Bruhns nicht um eine „Hamburgensie“ im engeren Sinne handelt. „Kunst in der Krise“ stellt einen wichtigen Beitrag zur norddeutschen Kulturgeschichte dar, es ist jedoch zugleich eine unschätzbar wertvolle Studie zur NS-Kunstpolitik, zur Exilforschung und zur Erforschung der inneren Emigration, zu Phänomenen wie der deutsch- jüdischen Symbiose vor 1933 und den Versuchen einer Entnazifizierung nach 1945, ein Bilderbuch und Nachschlagewerk. Die Publikation ist eine engagierte kulturelle Tat. Maike Bruhns: Kunst in der Krise. Verlag Dölling und Galitz, Hamburg, München 2001. ISBN 3-933374-93-6, 2 Bände im Schuber, 1120 S., ca. 450 Abb., Euro74.-. Diesen Artikel finden Sie auf NZZ Online unter: http://www.nzz.ch/2002/06/29/li/page-article84D2N.html Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG |