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In seiner Jugend war Karl Ballmer selbst fußballerisch aktiv. So schreibt er über einen Freund: „Wir hatten seinerzeit im Fußball als 2. Bezirksschulklasse die 4. Klasse geschlagen, er und ich die Kanonen im Team.“ Sein jüngerer Bruder Fritz Ballmer (auf dem Foto in der mittleren Reihe links, übrigens der Großvater von Steve Ballmer) spielte im FC Aarau, der in den Jahren 1912 und 1914 Schweizer Meister wurde.

FC Aarau Schweizer Meister 1912


In den Tessiner Jahren hatte Ballmer insofern mit Fußball zu tun, „als es sich als schicklich ergeben hat, dass ich beitragendes Mitglied des Fußballclubs Lamone bin (der Fußballplatz liegt an der Rückseite meines Hauses neben meinem Garten; ich pflege vom flachen Dach des Hauses den Spielen zuzusehen, auch werden im Winter bei Schnee und gefrorenem Boden etwa blessierte Spieler, die auf Liegen oder Sitzen angewiesen sind, in meine warme Stube getragen. Sodass meine teilnehmende Passivmitgliedschaft eben schicklich war).“

Im Nachlass findet sich ein Faszikel mit dem Titel „Vom Fußballspiel – eine theosophische Studie“. Der unvollendete kurze Text wird unten wiedergegeben, ergänzt durch einen Ausschnitt aus einem anderen Faszikel zum Thema. Abschließend folgt eine längere Passage aus unserer Publikation Abschied vom „Leib-Seele-Problem“.

Zeichung auf der Mappe


Über das Fußballspiel, Eine theosophische Studie

Das Thema

Wer ist – so frage ich – in einem Fußballspieler das Subjekt der Bewegung? Und ich antworte: das bewegungsfähige Subjekt im Fußballspieler müsse der „Bezug“ des Körpers des Spielers zum Ball sein. Das ist eine schwierige Vorstellung. Wie können zwei Dinge, der Fußball und der Körper des Spielers, ein Aktor – noch dazu ein personaler – sein? Wie soll das zugehen, dass ich mir unter dem Aktor nicht den mit der Fähigkeit der Motilität begabten Körper des Fußballspielers, sondern das Verhältnis zweier Körper (Ball und Spieler) vorstelle? Soll denn der Bezug oder das Verhältnis als ein Substanzielles verstanden werden?

In der Tat: Wenn die akademische Wissenschaft meint, im bewegten Fußballspieler den biologischen Akt eines Organismus (Viktor von Weizsäcker) sehen zu sollen, so soll hier der vermeinten Zuständigkeit einer Physiologie der theosophische Ernst der Physik entgegengestellt werden.

Theosophisches Vorurteil

Was der spielende Fußballer tut, hängt von den Bewegungen seines Körpers ab. Die Ironie dieses Satzes will statuiert haben: der Fußballer Müller III ist nicht sein Körper. [Fußnote: Ich distanziere mich schärfstens von den Zumutungen einer optimistisch-leichtfertigen Daseinsanalyse, die den (Heidegger-) „Menschen“ als ein „Geistwesen“ fingiert, dem die Fähigkeit eigne, „auch“ leiblich zu existieren. M. Boss, in „Psychosomatische Medizin“, glaubt an den Unsinn, dass wir unser Leibliches „immer und auch recht eigentlich sind“.] Ich bin nicht mein Körper. Mein Körper mit seinen Bewegungen ist Naturgeschehen. Von beliebigem anderem Naturgeschehen unterscheidet sich mein geschehender Körper dadurch, dass er mir die Ich-Empfindung vermittelt. Ich bin ein Narr, wenn ich nicht weiß, dass meine Ich-Empfindung die Wirkung des Naturgeschehens meines Körpers ist; und ich bin ein Narr im Quadrat, wenn ich den Satz spreche: „ich bewege meinen Körper“, während der Tatbestand ist, dass ich an dem Geschehen meines Körpers Ich-Erlebnisse gewinne.

Das Tun (die Handlung) des spielenden Fußballers, das von den Bewegungen seines Körpers, der er nicht ist, abhängt, ist also nicht die Einheit, auf die sich unsere Frage nach dem Subjekt der Bewegung im Fußballspieler richtet. Als die zu befragende Einheit kommt einzig die Welt in Betracht.

Durch Galilei sind die Bewegungsgesetze, d. h. die Gesetze der auf Bewegung beruhenden Ortsveränderungen von physischen Körpern, Welt-Gesetze. Gegenüber dem großen Galilei gibt es nichts zu revozieren. Er erstritt seine Einsichten gegen den seelengläubigen Aristoteles, der den Dingen ein „Wesen“ andichtete, das der Grund für ihr Verhalten sein soll. Die leichten Dinge sollen sich ihrem „Wesen“ entsprechend verhalten, ebenso die schweren Dinge. Galilei widerlegte den Aristoteles und zeigte, dass die körperlichen Dinge

[bricht ab]

Aus einer anderen Skizze (1954), die sich mit dem Komplex Viktor von Weizsäcker / Gestaltkreis / Psychosomatik beschäftigt:

Aus: Entwicklungsmotor Krankheit

[…] Die Anamnese der gegenwärtigen allgemeinen Geistesstörung muss sich auf Tatsachen erstrecken, die von der gegenwärtigen Klinik aus noch nicht gesehen werden. […] Der Körper der Menschenleute ist schwer krank, indem die Körper der Leute „ich“ piepsen und den Grund des „ich“-Sagens nicht kennen. Wegen dieser allgemeinen Geistesgestörtheit sind die Aussagen der Kliniker über „seelische Ursachen der Krankheit“ selbst Gegenstand der fundamentalen Anamnese. Ich bin geistesgestört, wenn ich vom Flachdach meines Atelierhäuschens, das gegenüber der Mitte der Längsseite des Spielplatzes des Fußballklub Lamone liegt, dem Spiel zusehend wähne, dass die spritzigen Spieler „sich“ bewegen. Sich in den Spielern bewegend ist die Gattung […]. Zwischen dem, was bei den Fußballspielern einerseits „Vorsatz“ und anderseits „Tat“ ist, bestünde vollkommene Diskontinuität, wenn nicht der Gattungsmensch als KÖRPER die SEELE der Spielenden sein wollte, um als der Ungewusste in den Spielern die Illusion zu sein, sie seien Selbstbeweger. Der amtliche theosophische Satz „Unser Tun hängt ab von den Bewegungen unseres physischen Körpers“ wird gerade auf dem Fußballplatz aktuell. […]

Der „amtliche theosophische Satz“ findet sich bei: Rudolf Steiner, Vor dem Tore der Theosophie, Vortrag vom 28. August 1906 (Gesamtausgabe Band 95, S. 64).

Aus: Abschied vom „Leib-Seele-Problem“

[…] Um an den Kern des zwischen dem Anthroposophen und dem Psychosomatiker zu Verhandelnden zu rühren, werfe ich die Frage nach dem Subjekt der Neurose auf. […] Wegen unserer Vorliebe für Physik, und wegen unserer Abneigung gegen „wissenschaftlich“ angestrahlte Schöngeisterei, versuche ich dem Thema „Subjekt der Neurose“ auf dem Umwege über gut naturwissenschaftliche Überlegungen näher zu kommen. Wer ist – so frage ich – in einem Fußballspieler das Subjekt der Bewegung? Und ich antworte: das Subjekt der Bewegung im Fußballspieler müsse der „Bezug“ des Körpers des Spielers zum Ball und zu den Mitspielern sein. Das ist eine etwas schwierige Vorstellung. Wie können zwei Dinge, der körperliche Fußball und der Körper des Spielers, ein Aktor sein?, dazu gar ein ichpersönlicher Aktor? Verführt von der frommabendländischen Vorstellung „Substanz“, sind wir gewohnt, die Dinge einzeln als Ansatzpunkte für Naturkausierung anzusehen. Doch gibt es Physiker, die den vulgären „naturwissenschaftlichen“ Kausalismus durch Wahreres ersetzen wollen. Ernst Mach, dem sehr an der Diskreditierung des (letztlich katholischen) Substanzbegriffes gelegen war, entwickelte in den „Prinzipien der Wärmelehre“ die Idee: bei der Beschreibung und mathematischen Erfassung physikalischer Vorgänge seien letztwichtig die Gleichungen; diese – und nicht hypothetische metaphysische „Substanzen“ – drückten das Bleibende und Dauernde aus. Eduard von Hartmann kommentierte die Intention Machs: „An Stelle von Geist, Stoff und Bewegung (nebst Energie) wird die Gleichung das Substanzielle.“ (Die Weltanschauung der modernen Physik, Leipzig 1902, S. 224.) Der abstrakte akademische Formalismus dieser Idee kann mit Inhalt erfüllt werden, wenn die Physik sich entschließt, ein angebbares Objekt ihrer Wissenschaft zu haben, und wenn sie als das einzige und wahre Objekt der Physik den Gott Menschenkörper entdeckt. Dessen Dasein als Aktor des Weltvorganges ist „Bezug“, denn er existiert kraft Erinnerung als die Wiederholung seiner selbst. Indem er dauernd der wird, der er schon immer ist, ist sein Substantielles die dauernde Gleichung zwischen Ich und Ich. Er ist wesensmäßig Verhältnis: Ich-Ich-Verhältnis. In allen biologischen und physikalischen Geschehnissen in und zwischen den Dingen der Welt subsistiert diese Ich-Ich-Gleichung. Auch der „Bezug“ von Fußballspieler und Ball muss als dieses Ich-Ich-Verhältnis, das ein Verhältnis der Welt zu sich selbst ist, eruiert werden, in das dann der sich als „Ich“ verstehende Fußballspieler als zuschauender Teilnehmer an der physikalischen Welt hineingebaut werden kann. Heute bedeutet es für physikalische Denkgewohnheiten keine ungebührliche Zumutung, dass die physikalischen Bewegungen auf dem Fußballplatze nach physikalischen Welt-Gesetzen beurteilt werden müssen. Daher wäre es bei der Erforschung dieser Weltgesetze ein schädliches Vorurteil, wenn man unterstellte, sie hätten Gesetze einer „Biologie“ zu sein. Viktor von Weizsäcker betrachtet die (problematische) „Willkürbewegung“ eines Fußballers als „biologischen Akt“; Aktor ist das „Lebewesen“ Fußballer, dessen Organismus mit den „Fähigkeiten“ der Motilität und Sensibilität ausgestattet sein soll. Das sind für uns ganz unmögliche Vorstellungen. Wir haben gegen den voreiligen Optimismus solcher „Biologie“ den physikalischen Ernst der Theosophie aufzurufen: Es könnte doch sein, dass ein bewegter Holzklotz und ein bewegter Fußballer vom Welt-Gesichtspunkte aus genau das gleiche physikalische Problem darbieten! Es könnte sein, dass die Fußballer als bewegte Gegenstände eigentlich tote Klötze sind, eigentlich Leichname! Die Auferweckung der Leichname bestünde darin, dass die Spieler als Bewusstseine ins Leben gerufen und ins Dasein gesetzt werden an und mittels der Wahrnehmungen, die ihnen der bewegte physische Gegenstand ihres Körpers spendiert. Die Zuständigkeit einer „Biologie“ hinsichtlich des Problems bewegter physischer Körper ist ernstlich zu bestreiten. Die bewegten Fußballer sind ein Physikproblem. Galilei soll endlich am bewegten Fußballer zum Zuge kommen.

Es wäre ein Galilei nicht zumutbarer physikalischer Dilettantismus, die „Seele“ oder das Ich des Fußballers als die physikalische Kausa für den glanzvollen Torschuss zu fingieren. (Wir müssen endgültig die spätbürgerchristliche Hoffnung, den glanzvollen Torschuss als „biologischen Akt“ interpretieren zu dürfen, preisgeben.) Die Sache ist heikel, aber es soll nun eben Galilei die Ehre angetan werden. Subjekt der Bewegungen der 22 spritzigen Fußballer sind natürlich überhaupt nicht die 22 Spieler, sondern ist in den 22 „Der Mensch“ als Selbstbeweger. Den 22 wird die notwendige Illusion zugute gehalten, sie seien aus Willkür sich Bewegende; in Wahrheit empfangen sie ihr „Ich“ an und aus der Wahrnehmung der weltmäßigen Aktion ihres Körpers als eines Gegenstandes der Außenwelt. – Wenn nun der Selbstbeweger „Der Mensch“ sich bewegt, dann hat er in seiner Bewegungshandlung nicht wie Bürgerchristen einen „freien Willen“, sondern in seiner Handlung sind die außen wahrgenommenen Dinge der Welt (z. B. ein anderer Mensch, der aufgehende Mond, ein Fußball) sein Wille. Wenn er seinen Arm bewegt, so ist die wahrgenommene vollzogene Bewegung des Armhebens die Causa der Handlung des Armhebens, oder eben sein Wille, der grundsätzlich eine äußere Wahrnehmung ist. „Der Mensch“ unterscheidet sich von den Menschenleuten dadurch, dass er will, was er tut, während die Leute sich gewolltes zu Tuendes erst vor-denken und vorstellen und es dann „ausführen“. Der Wille des Wesens „Der Mensch“ kommt auf ihn dauernd von außen zu. Wenn ein Narr dem Wesen „Der Mensch“ hochmütig entgegentreten und ihm sagen würde, er sei ein Scharlatan, so würde „Der Mensch“ sagen: „Mein Wille geschehe!“, denn der Narr vor ihm ist ja sein Wille und Ich außen. Wehe, wenn „Der Mensch“ nicht in den Fußballspielern die Möglichkeit ihrer personalen „Seele“ sein wollte! Dann würde die notwendige Illusion von Fußballspielern, man sei Selbstbeweger, irreparabel sein.

Hier ist eine kurze Betrachtung über die geistesgeschichtliche und kulturgeschichtliche Bedeutung des Fußballspiels einzuflechten. Das Fußballspiel ist eine Erfindung von Engländern. Sie wurde zu Beginn dieses Jahrhunderts in Europa aufgenommen – mit dem Effekt, dass heute auf dem europäischen Festland im hintersten Dörfchen Fußball gespielt wird. Die Theosophie entfaltet Gedanken über die spezifischen Aufgaben der verschiedenen Volkstümer bei der Verwirklichung der Möglichkeit von „Seele“. Dem englischen Volkstum fällt die spezielle Aufgabe zu, die „Bewusstseinsseele“ darzuleben; die Franzosen kultivieren die „Verstandesseele“; dem italienischen Volkstum entspricht das Weben in der „Empfindungsseele“. Die „Bewusstseinsseele“, die von der personalen menschlichen Gattung den Engländern als Aufgabe zugedacht ist, entzündet sich am kraftvoll egoistisch interessierten Umgang mit den praktischen Dingen dieser Welt. Dass die Dinge der Welt allesamt „Ich“ – als Gattungsmensch – sind, das können die Engländer ohne die theosophische Geistoffenbarung nicht wissen. Aber sie konnten aus einem Instinkte für die Seelenaufgabe ihres Volkstums das Fußballspiel erfinden – und nun stupfen sie auf englisch ihr außen befindliches Ich: den Fußball. Das ist buchstäblich gemeint. Es besteht auch eine „Synchronizität“ zwischen dem Aufkommen der theosophischen Bewegung seit 1900 und dem Aufkommen des Fußballspiels auf dem europäischen Festland seit 1900. Bei Jungschen „Synchronizitäten“ hat man stets ein „Innen“ und ein „Außen“ zu unterscheiden und aufeinander zu beziehen. Hinsichtlich des Synchronismus von Fußball und Theosophie ist das „Innen“ des Großteils der Zeitgenossen das Fußballspiel, das „Außen“ die Theosophie.

[Fußnote: Über die (aussichtslose) Gestaltkreis-Philosophie mit ihrer Theorie der „Einheit von Wahrnehmen und Bewegen“, von der möglicherweise der eine oder andere Leser annehmen könnte, sie hätte bei unseren Überlegungen über das Subjekt der Bewegung im Fußballspieler berücksichtigt werden sollen, werde ich mich an anderer Stelle äußern. Hier genügt die Feststellung: Die Gestaltkreistheorie bedeutet nicht im mindesten ein Loskommen von dem schauderhaften „Leib-Seele“-Denken.]

Unsere Annahme, dass in einem Fußballspieler das Subjekt der Bewegung der „Bezug“ sein müsse, hat sich somit bestätigt. Die Bewegung eines Fußballspielers ist nicht „biologischer Akt“ des körperlichen Organismus des Spielers. Das personale Subjekt des Bewegungsaktes des Fußballspielers ist niemand anders als die Welt selbst, und die Bewegung ist schlechthin Welt-Geschehen. „Der Mensch“, der als Gattung die Exemplare der Menschenleute ist, ist dieses Geschehen. „Der Mensch“ als der Selbstbeweger in den Fußballspielern (entsprechend dem von den Fußballspielern zu übernehmenden Paulus-Motto: nicht ich, sondern ein Anderer) erstellt die Gleichung zwischen dem außen Ich und Wille seienden Ball und dem körperlichen Ich. Als der Bezug zwischen Wille und Körper ist er das Subjekt der Bewegung. Die Selbstbewegung des Selbstbewegers selbst ist Urphänomen, hinter dem es nichts weiter zu erfragen gibt. –


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