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Dienstag, 1. Februar 2005

„Eine Revolution des Formgefühls“

DeutschlandRadio Berlin: Die Hamburger Maler Karl Ballmer, Richard Haizmann, Rolf Nesch

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Aus der Website von: DeutschlandRadio Berlin; Originaladresse (am 4. Februar 2005): http://www.dradio.de/dlr/sendungen/fazit/344689/ Sendung „Fazit“ vom 1.2.2005 (hier der Sendungsausschnitt als Audiodokument, 1,3 MB)

Von Jochen Stöckmann

Während der 1920er Jahre in Hamburg bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 hatten die Künstler Karl Ballmer, Richard Haizmann und Rolf Nesch großen Anteil an der Entwicklung einer neuen, abstrahierenden Formensprache. Ihre Werke zeigen das Bestreben, sich von der rein abbildhaften Wiedergabe des Gesehenen zu entfernen.

Jeder von ihnen entwickelte auf seine Weise einen neuen Umgang mit künstlerischen Ausdrucksweisen, experimentierte und fand zu einer reduzierten Bildsprache von größter Suggestionskraft. Damit basierte ihre Kunst auf einem Empfinden, dass eine „Revolution des Formgefühls“ nach sich zog. Einen Überblick über ihr Schaffen bietet jetzt die Hamburger Kunsthalle.

Hastiger Schichtwechsel im Hafen, schwankende Schornsteine der Schlepper und gemächlich an riesigen Stahltrossen schwingende Elbbrücken, durch grauen Nebel über den Asphalt springende Passanten - all das hat Rolf Nesch in den Zwanzigern festgehalten. Auf Bildern, die so typisch hamburgisch sind, weil ihnen jedes Lokalkolorit fehlt, weil sie sich auf das Wesentliche konzentrieren: die abstrakten Formen, die Dynamik der Bewegungen, die gerade in ihrer Abstraktion unvergleichliche Atmosphäre.

Neben Nesch, dem Schwaben, kamen nach den Wirren des Revolutionsjahres 1919 zwei weitere Künstler, der Schweizer Karl Ballmer und Richard Haizmann aus Süddeutschland, in die Hansestadt. Denn Hamburg, so erklärt Ina Ewers-Schultz, hatte damals einiges zu bieten:

Hamburg hat ja nach 1919 seinen Ruf sehr ändern können. Es hat die Universität gegeben, die 1919 gegründet wurde, die Kunstakademie, die endlich gegründet wurde, Künstlerfeste, die legendär geworden sind. Also, so „hinten an“ hinter Berlin war Hamburg doch nicht. Nicht umsonst sind die drei Künstler von außerhalb nach Hamburg gekommen und nicht nach Berlin gegangen. Auch, weil mit Max Sauerlandt im Museum für Kunst und Gewerbe jemand saß, der diese moderne Formensprache auch ganz massiv gefördert hat. Und auf die Form kam es an, etwa bei Karl Ballmer: Mit Stadtlandschaften, in denen neben vertikal ausgerichteten Rasterfassaden die dürren Äste gelichteter Baumreihen als wucherndes Liniengeflecht in den grauen Himmel wachsen. Oft stehen einsame Figuren in monochromen Feldern, ihre Konturen sind mit großer Wucht in die grob aufgespachtelte Farbe geritzt. Da springt es einem noch heute, Jahrzehnte später, ins Auge, wie hier ein empfindsamer Geist, ein einfühlsamer Beobachter der großen Stadt seinem Gefühl freien Lauf gelassen hat. Und genau das wird mit der Dreifach-Schau in der Hamburger Kunsthalle wieder wachgerufen:

Ina Ewers-Schultz: Dieser Ausstellungstitel ist ein Zitat, das Sauerlandt 1924 geäußert hat. Er gesagt: „Eigentlich ist diese ganze moderne Kunst eine Revolution des Kunstempfindens und Formgefühls.“ Das war anläßlich eines Gutachtens, das er geschrieben hat über einen Ankauf einer Sammlung moderner Kunst für Halle, wo er vor Hamburg als Direktor war. Was natürlich sehr schön seine Einstellung zeigt - und auch den Charakter dieser Kunst, die auch so empfunden wurde - als revolutionär!

Wenn auch nicht in revolutionärer Absicht, so doch mit äußerst radikaler Freude am Experiment ging Rolf Nesch zu Werke. Seine Druckgrafik lebt von außergewöhnlichen Effekten, vom lichtdurchschossenen Dunkel, magischen Verwischungen und rätselhaften Formen. Nesch selbst machte daraus kein Geheimnis, gab ohne weiteres zu, dass etwa die reliefartige Wirkung durch ein Versehen entstanden war. Eine Radierplatte hatte zu lange im Säurebad gelegen, dadurch gab es tiefe Löcher. Der Künstler machte daraus eine Technik, jene „Durchätzung“, der seine Blätter ihre unvergleichliche Leuchtkraft und geradezu plastische Qualität verdanken.

Aber dabei blieb es nicht. Nesch experimentierte mit mehreren, untereinander leicht verschobenen Druckplatten oder übernahm vom Holzschnitt das Auseinandersägen der Druckform. All dies lässt sich nun mit ein wenig Vorstellungskraft genussvoll rekonstruieren, denn die Kuratorin Marion Koch zeigt in mehreren Vitrinen die Original-Druckplatten:

Marion Koch: Diese Platten von Nesch aus dem Zyklus der „Brücken“, aber auch aus dem Zyklus „Karl Muck und sein Orchester“ sind so besonders, weil man über das Betrachten der Platten seine Arbeitsweise nachvollziehen kann. Vor allem bei dem Brücken-Zyklus, wo er Platten auseinandergesägt hat, durchgeätzt hat, Löcher gebohrt hat, Drähte durchgefädelt und so weiter.

In „Petersburger Hängung“ - mehrere Reihen übereinander - spielt Karl Mucks Orchester auf: Hände schlagen im Stakkato auf die Trommel, kreisrunde Münder schließen sich fest um ein Horn, der Dirigent schwebt entrückt über diesem laut tönenden Kosmos. Neschs Serie in 24 Blättern markiert treffend den Gegensatz zu Richard Haizmann, der in Porträts archetypische Köpfe lautlos, als strahlend-helle und fast überirdische Erscheinung aus dem Dunkel treten lässt:

Ina Ewers-Schultz: Als Anthroposoph wusste er natürlich von der Bedeutung der Aura. Und hat dazu das Dunkel und Helle kontrastiert in diesen Köpfen sehr mystisch, weil man Gesichtsstrukturen überhaupt nicht erkennen kann, die auf die Linie abgezogen werden oder auf die Silhouette - wo dann die Strahlkraft auf einmal eine rein formale Funktion hat. Ausgerechnet ein Schriftsteller, der Ire Samuel Beckett, brachte die drei Hamburger Maler nach 1933, nach der Vertreibung durch die Nazis, noch einmal zusammen. Nicht real, aber in den Tagebuchaufzeichnungen über seinen Hamburg-Besuch 1936, den Ulrich Luckhardt aufmerksam verfolgt hat: Ulrich Luckhardt: Er hat erwähnt, dass er bei der Witwe von Max Sauerlandt Tierplastiken von Richard Haizmann gesehen hat, in der Villa des großen Edvard-Munch-Sammlers Heinrich Hudtwalcker an der Elbchaussee sehr viel Nesch-Druckgrafik, aber auch wohl viel Gemälde gesehen hat. Und er hat ganz intensiv sich mit Karl Ballmer auseinandergesetzt, er hat Ballmer im Atelier besucht.

Heute, in der Zusammenschau, halten alle drei - Nesch, Ballmer und auch Haizmann - den Zumutungen des 21. Jahrhunderts, den Anfechtungen einer entfesselten Mediengesellschaft ruhig und gelassen stand. Auch wenn ein Fachmann wie Luckhardt wichtige Unterschiede sieht: Ulrich Luckhardt: Der einzige, der tatsächlich künstlerisch sich weiterentwickelt hat, und auch in eine „zeitgeistige“ Modernität der fünfziger Jahre gelangte, war Rolf Nesch. Und zwar durch seine farbigen Materialbilder, Materialcollagen die er schon in den frühen Radierungen, die hier in Hamburg entstanden sind, angelegt hat.

© DeutschlandRadio 2004

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