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Mittwoch, 9. Mai 2001 Die Verschollenen der AvantgardeHaus am Waldsee: Hamburger Expressionisten erstmals in Berlin
Der Tagesspiegel, 09.05.2001 Klaus Hammer Auf die Reporterfrage, welches ihm das liebste Bild seiner Sammlung sei, antwortete Professor Hermann-Josef Bunte: „Immer das, was ich als nächstes erwerben will“. In seiner Bielefelder Zeit sammelte der Jurist mit Hermann Stenner, Peter August Böckstiegel und Victor Tuxhorn westfälischen Expressionisten. Seit seiner Übersiedlung nach Hamburg 1986 widmete er sich der Hamburgischen Sezession, vor allem Eduard Bargheer, Karl Kluth und Rolf Nesch. Er wollte Künstler der „verschollenen Generation“ zwischen den Weltkriegen (wieder-)entdecken. Die Buntesche Sammlung präsentiert das Haus am Waldsee mit 160 Werken erstmals in Berlin. Sie gruppiert sich um die Hamburgische Sezession 1919 - 33, die den Expressionismus in seiner zweiten Phase zum norddeutschen Regionalstil erhob. Von Cézanne, van Gogh, Monet und Signac bis zu Matisse reicht der französische Einfluß. In Hamburg gab es aber auch eine zweite Munch-Rezeption; schließlich wurde von Künstlern, die dem Expressionismus entwuchsen, die Neue Sachlichkeit, die magische Dingverfremdung und der rationale Konstruktivismus aufgegriffen und umgeformt. Eine Entdeckung ist zweifellos der 1914 mit 23 Jahren in Rußland gefallene Hermann Stenner, der ein impressionistisches Frühwerk in lichtdurchfluteter Farbigkeit schuf. Doch wollte er einen gebändigten visionären Expressionismus erreichen. Die Kenntnis der Goetheschen Farbenlehre und der Wirkung von Komplementär- und Simultankontrasten gibt seinen religiösen Themen, so dem Gemälde „Auferstehung“ (1914), die bildliche Symbolik: Naturformen erscheinen in einer geometrisierenden Vereinfachung und die Figuren im Zusammenwirken von Farbe, Form, Linie als Geistwesen ohne körperliche Gegenwart. Stenner steht wie sein westfälischer Landsmann Böckstiegel zwischen „Brücke“ und „Blauem Reiter“. Fritz Flinte gehörte zur Gruppe der Hamburger Freilichtmaler und hielt zunächst den impressionistischen Studien vom lichten Elbestrand die Treue, aber auch, als er den Expressionismus aufnahm, behielt er seine wenigen Farben Braun, Grau, Blau, Grün bei. Ivo Hauptmanns „Stillleben mit Äpfeln“ (1909) ist ganz im Geiste Cézannes gemalt, während er den „Hamburger Hafen“ von 1911 divisionistisch wie Signac behandelt hat. Henning Edens’ „Die Elbe im Rauch und Dunst“ (1923) ist tonig gestimmt wie Monets Hafenansicht von Le Havre ein halbes Jahrhundert davor. Dorothea Maetzel-Johannsen, die sich Erich Heckel geistesverwandt fühlte, hat die Gesichter der „Zwei Mädchen mit Tulpe“ (1921) nach Art der „Brücke“ holzschnittartig aufgefaßt, deren Zügen aber melancholische Weichheit verliehen. Die zu gelb abschattierten Kuben reduzierten Häuser, das reflektierende Blau-Weiß der Straße geben der „Straße in heller Mondnacht im Gebirge“ (1916) des Berliner Malers Wilhelm Kohlhoff eine metaphysische Wirkung. Karl Ballmer wiederum schuf Figuren mit reduzierter Tonigkeit, in abstrakt prägnanten Blockformen, aus denen Gesichter linear hervortreten. Rolf Nesch wurde zum Erfinder des Materialdrucks und stellte noch, bevor er 1933 nach Norwegen emigrierte, einen Radierungs-Zyklus „Hamburger Brücken“ fertig, Materialbilder reliefhaften Charakters mit ganz neuen Ausdrucksformen. Die Hamburgische Sezession, die einstmals Avantgarde der modernen Kunst war, löste sich 1933 auf, in einem beispiellosen Akt der Solidarität mit den jüdischen Mitgliedern, die sie ausschließen sollte. Nesch vernichtete den Großteil seines Werkes, bevor er Deutschland verließ, Anita Reé wählte 1933, Alma del Banco 1943 nach dem Bescheid ihrer Deportation den Freitod, Ballmer kehrte 1935 in die Schweiz zurück, Arnold Fiedler ging 1937 nach Paris, Karl Kluth kam erst 1949 aus russischer Gefangenschaft zurück. Er, der 1928 in Oslo Munch begegnet war, führte die Tradition des norddeutschen Expressionismus bis in die fünfziger Jahre fort. Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis 17. 6. . Di - So 12 - 20 Uhr. Katalog 35 DM. |