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![]() Im architektonischen Kunstwerk erlebt unser Erdkörper seine innersten, ursprünglichsten Kräfte. Der Schöpfer dieses Kunstwerkes, der Baukünstler, muss in sich ein Gefühl haben als ob er selbst in urferner Zeit diese Erdenkräfte in seinem Innern eingeschlossen hätte. Welches sind diese Kräfte? Es sind letztlich und hauptsächlich deren zwei: die eine strebt aus allen Richtungen nach dem Mittelpunkt der Erde und die andere strahlt vom Mittelpunkt der Erde nach allen Richtungen. Um sich das Wirken dieser Kräfte anschaulich zu vergegenwärtigen betrachte man eine Pflanze: ihre Wurzel zielt nach der Erdmitte und mit Stengel und Blättern wendet sie sich der Sonne zu. In der Pflanze wirken die angedeuteten Kräfte sinnenfällig. Oder man stelle sich vor, wie der Erde Dünste entsteigen und wie diese Dünste als Regen oder Schnee wiederum der Erde zustreben, dann fühlt man ebenfalls diese Kräfte. Oder man betrachte das Feuer: das lodernde Feuer strebt zum Himmel. Aber das Feuer fliegt nicht zum Himmel hinauf, etwas ist im Feuer, das nach dem Mittelpunkt der Erde weist und wirkt. Die griechischen Baukünstler haben in ihren Tempeln die beiden hier angedeuteten Kräfte erlebt. Wichtig aber ist die Art und Weise, wie sie diese Kräfte erlebten. Die griechischen Tempel handeln von aufsteigenden und niedersteigenden Kräften im Raume. Der Grieche verlegte aber den Ursprung dieser Kräfte nicht in sein eigenes Innere, sondern er nahm die beiden Kräfte in den äußeren Dingen wahr. Er wusste z.B., dass im Steine eine Kraft ist, die erdwärts strebt, und er wusste durch Erfahrung von denjenigen Mitteln und von derjenigen Kraft, mit der man der ersten entgegenwirkt. Der Grieche war bestrebt, diese beiden Kräfte einander gewissermaßen gegenseitig auffressen zu lassen. Es war die Aufgabe der griechischen Baukunst, zwischen der aufsteigenden und der niedersteigenden Kraft den denkbar vollkommensten Ausgleich zu finden. Die griechischen Baukünstler maßten sich gewissermaßen an, der Natur Anleitung zu geben, wie sie es anstellen müsse, um zum Ausgleich der Kräfte, zum Gleichgewicht, zur Ruhe zu kommen. Aber darüber lacht die Natur: sie meint nicht Ausgleich – das wäre Stillstand! – sondern Entwicklung und Reife ihrer Kräfte. Die gotische Baukunst bedeutet die Entdeckung, dass die genannten architektonischen Urkräfte nicht bloß in den äußern Dingen liegen, sondern dass sie im Innern des Menschen zu finden sind. Während der griechische Baukünstler die Vertikalkraft nur erlebte, wenn sich dieser Vertikalkraft eine andere Kraft entgegenstellte, d.h. also als Opposition, als Gegensatz, so erlebte der gotische Baumeister das Vertikalstreben an sich, d.h. er erlebte es geistig. Und weil der gotische Baumeister dieses in sich erlebte, konnte er an ganz andere Aufgaben herantreten: Es kam dem Gotiker darauf an zu zeigen, dass er diese Vertikalkraft als eine Grundkraft der Erde geistig in sich erlebte. Dagegen gelang dem Gotiker die Vergeistigung der andern Kraft, der absteigenden, nicht. Er versuchte sie einfach zu negieren. (Gerade deswegen, weil er versuchte, die absteigenden Mächte zu verneinen, wirken diese im gotischen Dom umso brutaler, ungeistiger. Man kann das so ausdrücken, dass man sagt, dass das spezifische Gewicht eines gotischen Domes viel größer sei als dasjenige eines griechischen Tempels. Trotz allem Vertikalstreben, so „schwer“ wie ein gotischer Dom steht sonst nichts auf der Welt.) Die heutige Aufgabe der Architektur scheint die fortschreitende Vergeistigung der absteigenden Kräfte zu sein. Diese absteigenden Kräfte werden den nämlichen Weg ins Innere des Menschen antreten müssen, wie die Vertikalkraft in der Gotik. Versucht man sich ein Bauwerk vorzustellen, bei dem die Vergeistigung der auf- und absteigenden Mächte erfüllt ist, so erlebt man geistig ungefähr ein Bild, das Ähnlichkeit hat mit denjenigen, das sich ergeben würde, wenn sich eine Pflanze – indem fortwährend die auf- und absteigenden Mächte in ihr wirken – langsam und allmählich zu einem Gebäude ausweiten würde. Ein derartiges Bauwerk könnte nur in Eisenbeton ausgeführt werden. 3. Juli 1917 Zusätzliche handschriftliche Notizen Die Architektur entspricht dem physischen Leib. Ihre Aufgabe ist jedoch, das Ich zu offenbaren. Theosophie S. 124 St. unterscheidet zwei hauptsächliche theosophische Betrachtungsweisen. 1. Das Werden der Erde durch Saturn, Sonne, Mond und 2. das Ringen um die Initiation. (Das erste aufsteigende Bewegung und das zweite vergeistigte absteigende Bewegung.)
ErläuterungEin sehr frühes Manuskript von Ballmer – da sonst wenig Geschriebenes aus dieser Zeit vorliegt, kann man davon ausgehen, dass er die Blätter bewusst aufbewahrt hat. 👉 Aus der „gekrachten SchubladeDie gekrachte Schublade“ bekommen Sie wechselnd verschiedene Texte von Karl Ballmer zu lesen. Bei der Auswahl gilt das Motto von Rudolf Steiner: „Es muss der Zufall in seine Rechte treten.“ Besuchen Sie diese Seite also öfter. Bei Fragen kontaktierenKontakt/Impressum Edition LGC Sie uns bitte.⇑ |