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… aus sich heraus über sich hinaus …Die gekrachte Schublade – 25. September 2023

Lamone, 11. Juli 1952

Sehr geehrter Herr Dr. Brock!

Ihr mich beschäftigender nobler Aufsatz zur „Tierpsychologie“, indem er die geistliche Betreuung des Buches von David Katz besorgt, ist im Ganzen eine späte Rehabilitierung des Darwinismus. Die Tiere – sagt der Darwinismus – sind Wesen wie wir, daher verstehen wir sie. Die umsichtigen Reflexionen Ihres Artikels liefern die Bestätigung, dass dieser prinzipielle Darwinismus auch heute noch maßgeblich ist. – Empirische Beobachtung und Beschreibung lebt aus der vorgängigen Deutung! Die vorgängige Deutung beinhaltet: „die Tiere sind Wesen wie wir“ – bei wohlweislicher Unterdrückung der Frage: „was und wer sind wir?“ – denn die Verlegenheitsauskunft als vulgär-darwinistische „wir sind Wesen wie die Tiere“ zählt natürlich als Lösung der Was-sind-wir-Frage nicht.

Nur nebenbei erfüllte der historische Darwinismus eine Sonderaufgabe, die er indessen gar nicht verstand: Es kam gegen Ende des 19. Jahrhunderts darauf an, den Zwecke setzenden lieben Gott als Kümmerling aus seinem Amte zu entlassen. Zur Erreichung dieses Zieles konnte der Engländer Darwin nutzbar gemacht werden, der das Wunder der faktischen organischen Zweckmäßigkeit englisch erklärte: als von Niemandem beabsichtigtes Ergebnis aus geschlechtlicher Zuchtwahl und Kampf um den Frieden. Mit Haeckels „Natürlicher Schöpfungsgeschichte“ war die gemeinte Sonderaufgabe zunächst erfüllt. Es zeigte sich, dass Haeckel ebenso redlich war, wie seine antimonistischen und transzendenzsüchtigen Gegner unredlich. – Haeckel merkte nicht, dass er nur am ehrwürdigen Universalienproblem der Scholastiker kaute. Die Scholastiker frugen: ob die Gattungen Namen oder ob sie real existierend seien; Haeckel verlagerte diese Frage ein bisschen ins Empirische und bewies, dass die Gattung in der Tat real sei und kausiere (die Phylogenese die Ursache der Ontogenese). Was die Gattung selbst sei (bei Haeckel heißt sie „Stamm“, im Lichte der Vision „Stammbaum“), darüber wusste Haeckel genau so wenig wie seine scholastischen Mitarbeiter am Universalienproblem.

Durch Haeckel – und das war entscheidend – kam der böse Materialismus zu der ihm mit Recht zustehenden hohen Ehre. Wegen der prinzipiellen Gottnähe des Bösen gab es jetzt die Frage: ob der böse Materialismus göttlich (theosophisch) werden könne … Wenn ich also unter dem gemeinsamen Gotte der Scholastiker und Haeckels den Gott MENSCHENKÖRPER zu verstehen habe, dann weiß ich zugleich auch, wo die Feinde dieses Gottes sind. Natürlich ist die Theologie der Feind, aber diesmal die Theologie in ihrer Gestalt als Physik. Denn die Physik erwächst aus dem einen und einzigen Gedanken: Gott sei nicht Körper. Es gibt für die Physik keinen Körper, der sich (göttlich) aus sich selbst verändert. Das „Trägheitsgesetz“, das den weltanschaulichen Gehalt der Physik repräsentiert, schreibt dem Körper vor, dass er zu warten habe, bis er von außen bewegt und verändert wird. Das kommt davon her, dass wir im Abendland unsere Konzeption von Wissenschaft von den Griechen erbten, und dass eben Platon sich nicht zumuten konnte, unter dem Guten und Ewigen einen KÖRPER zu verstehen.

In der Geburtsstunde der Physik, als Galilei und Newton das „Trägheitsgesetz“ entdeckten, herrschte die Gewohnheit, Gott unkörperlich vorzustellen; Galilei entzog sich dieser Gewohnheit nicht, und so entdeckte er, dass kein Körper sich aus sich selbst verändert. – In unserer griechischen Erbschaft ist der Gedanke nicht enthalten, die WELT sei das Selbstverhältnis des EINEN Körpers. – Man frägt daher im versinkenden und verstinkenden Abendland nicht: Inwiefern sind Gravitation, Licht, Wärme, Elektrizität, Sprache usw. personale Aktionen des Gottes KÖRPER, der als sein Selbstverhältnis die Welt ist. Man hat auch gar keine Muße für derart ausgefallene Fragen; denn man hat ja doch den Erbbesitz des hehren Abendlandes gegen den Antichrist zu verteidigen.

Wenn die Griechen frugen, wer der Garant dafür sei, dass die vielen Körper EINE Welt sind, so nannte ihre Antwort als Garanten den „Raum“, der zwar leider „nur ein Gedanke“ ist. Dass die vielen Menschenkörper EINER sind und die Welt als EINE nicht vom bloßen Gedanken „Raum“, sondern vom Gotte Körper selbst garantiert ist, bedeutet u.a.: dass mein Körper nicht mein Körper ist, sondern der Gott ist, in dem ich bloß wohne. „Mein“ Körper als Sinnesorganismus, als Denker und als Aktor des Gedächtnisses – das bin „ich“ nicht, das ist der GOTT Körper. „Ich“??? „Ich bin ein Anderer!“, dies wäre die Formel, die Sartre anzubieten wäre, damit die Brentano-Husserl-Sartre’sche „INTENTIONALITÄT“ (des „Bewusstseins“) nicht länger ein Knabenspiel bleibe, und „Transzendenz“ mehr als ein Gepiepse der Kirchenmäuse sei.

*

Ob die Tiere Gedächtnis haben (die „denkenden Pferde“) ist auf dem Boden des prinzipiellen Darwinismus (also der „Tierpsychologie“) nicht zu entscheiden. Was Erinnerung ist, ergibt sich erst und nur aus der Enthüllung der für Haeckel wie für die Scholastiker verhüllten Gattung MENSCH. – Die Erinnerung ist das Prinzip und die Kraft der Veränderung des Gottes Körper. Indem der Gott per Erinnerung der wird, der er ist, geschieht der physische Weltprozess. Sofern Erinnerung „Vergleichung“ ist, steht an der Stelle des tertium comparationis die leblose Form des Gottes Körper (Leichnam); der Tod als die Ursache des Lebens ist Gott selbst. – Ich biete den Gedanken an: Erinnerung sei urwesentlich ein MACHEN. Wenn der altersreife Rodin sich erinnert, wer er kraft reicher Arbeitserfahrung ist, dann macht er sein nächstes Werk. „Tiens! un Rodin!“ – Man kann die Vorstellung bilden, dass ein Mann und Mensch derart nicht nur eine Plastik mache, sondern seinen ganzen lebendigen Menschen aus sich heraus über sich hinaus mache. Erinnerung und Fortpflanzung (der Welt) können dereinst identische Begriffe sein, – wenn das Geplärr der theologi betreffs Schöpfer und Schöpfung endgültig langweilig geworden sein wird. (Wann findet die Weltschöpfung statt? Antwort: die Weltschöpfung findet in der Gegenwart statt; die ZEIT ist ein Attribut der Gegenwart, sie vermittelt als Person den Anfang und das Ende des abgeschlossenen Weltvorganges in der Gegenwart.)

Wir sind zur Führung unseres Daseins notwendig auf Illusionen angewiesen. Eine gütige Weltleitung lässt die Irrtümer zu, ohne die wir nicht existieren könnten. Zum Beispiel die Illusion, wir (als Meier, Huber, Müller) seien Körper, die sich selbst bewegen, was physikalisch unzulässig ist; denn einerseits duldet die Physik keinen sich aus sich selbst verändernden Körper, und andrerseits könnte aus Respekt vor dem Energieerhaltungsgesetz höchstens und allenfalls die Welt als solche als „sich“ verändernd angenommen werden. Der Satz „ich lege mich ins Bett“ ist physikalisch ein Nonsens. Analog kann die Annahme eine starke Illusion sein: unserem Subjektbewusstsein eigne die Fähigkeit des Gedächtnisses, der Erinnerung. Es könnte doch sein, dass die Fähigkeit der Erinnerung nicht dem Subjektbewusstsein der Meier, Müller und Huber eignet, sondern der GATTUNG „Mensch“, dem Gotte Körper. Diese Vorstellung kann im Zeitalter der Individualpsychologie und der Psychoanalyse auf den ersten Blick töricht erscheinen; beim zweiten Blick dagegen würde sich zeigen, dass durch Freud auf den innigen Konnex von Erinnerung und Gattungs-Kraft (Sexualität) hingewiesen ist. Wenn die Realität der Gattung des Tieres, die früher im scholastischen Gotte beheimatet war, jetzt im „Menschen“ kraftet (weil zum göttlichen DENKEN ein physisches menschliches Gehirn erforderlich ist), dann ergibt sich hinsichtlich der „denkenden Pferde“: es dürfte sein, dass uns die Tiere deswegen so erscheinen, als ob sie Gedächtnis hätten, weil die Tiergattungskraft ihre Realität im „Menschen“ hat. Das heißt: dass beim Rechnen der Pferde zwei wirken müssen: das Pferd und der Stallmeister.

N. B. „Haben die Tiere Religion?“ Der Antidarwinist Eduard von Hartmann (der Haeckel gottvoll hereinlegte mit der anonym veröffentlichten Schrift „Das Unbewusste vom Gesichtspunkt der Descendenztheorie“) beginnt sein Werk über „Das religiöse Bewusstsein der Menschheit“ mit einem Kapitel „Haben die Tiere Religion?“. Darin der Satz, S. 6: „Wir können nicht umhin, dem Verhältnis, wie es zwischen den klügsten Haustieren und ihren Herren besteht, nach Seiten des Tieres einen religiösen Charakter zuzuschreiben.“

Ihr ergebener

Karl Ballmer

Erläuterung

Der angesprochene Aufsatz von Erich Brock (Philosoph, Schriftsteller, 1889–1976) bezieht sich auf das Buch von David Katz: Mensch und Tier. Studien zur vergleichenden Psychologie (Zürich 1948). Themen dieses Buches sind u.a.: Stellung der Tierpsychologie zu anderen Wissenschaften; Methodik der Tierpsychologie; Wahrnehmungsproblem des Tieres; Tier und Raum; Bedürfnis, Triebe und Instinkte; Sozialpsychologie der Tiere; Mensch und Tier, ein psychologischer Vergleich.

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{=$:Titel}Die gekrachte Schublade – 25. September 2023


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