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Samstag, 1. März 1997

„Berge, Blicke, Belvedere“

1. März bis 1. Juni 1997, Schirn Kunsthalle Frankfurt

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Vom 1. März bis 1. Juni 1997 zeigte die Schirn Kunsthalle Frankfurt die Ausstellung „Berge, Blicke, Belvedere“ – Kunst in der Schweiz von der Aufklärung bis zur Moderne aus dem Aargauer Kunsthaus Aarau. Hier ein Bericht aus WELT-ONLINE. Unter den 184 ausgestellten Werken waren 10 Bilder Ballmers. Der Katalog, erschienen 1997 im Verlag Gerd Hatje, Ostfildern-Ruit (ISBN 3-7757-0687-9), enthält auch einen Beitrag von Beat Wismer über Karl Ballmer, den wir im folgenden wiedergeben:

Karl Ballmer

Karl Ballmer wurde 1891 in Aarau geboren und besuchte hier die Schulen. Als der 16jährige 1907 plötzlich und überraschend aus dem Gymnasium austritt, scheint er hinsichtlich seines beruflichen Werdeganges eine recht klare Vorstellung gehabt zu haben. Er beginnt eine Zeichnerlehre bei einem Architekten, 1908 besucht er eine Malschule in Aarau, 1909 wird er Schüler an der Allgemeinen Gewerbeschule in Basel, 1910 und 1911 studiert er an der Kunstakademie in München. 1912 und 1913 arbeitet er als freier Graphiker in Bern, in den Sommer 1914 fällt ein Aufenthalt beim damals schon sehr bekannten Maler Cuno Amiet. 1915 arbeitet er im Pressedienst des Armeestabes, dadurch angeregt beginnt er 1916 mit seiner eigenen journalistischen Tätigkeit. Bis zu seinem Lebensende wird Ballmer neben der künstlerischen immer auch eine philosophierende schriftstellerische Tätigkeit ausüben. 1917 wird Ballmer auf die Werke von Rudolf Steiner aufmerksam, im Herbst 1918 begegnet er Steiner persönlich: »Ich hatte mich ihm vorgestellt mit einer Abhandlung über die Darstellung des Menschen in der Malerei - ich hatte ja die ganzen Jahre nebenher immer auch gemalt.«1 Im Jahre 1927 wird Ballmer rückblickend über die Jahre nach seiner Ausbildung schreiben: »Meine Existenz, seit ich im Frühjahr 1911 von München nach Aarau zurückkehrte, war bis in den Herbst 1918 eine einzige schwerste Krisis. Nicht so sehr, dass mir die Mittel fehlten zu einem ruhigen Studium, war der tiefere Grund einer grauenvollen Verzweiflung. Vielmehr war es die Verzweiflung, der menschlichen Existenz, so wie ich sie damals empfand, überhaupt einen tragenden Sinn abzugewinnen. (...) Von 1914 bis 1918 war meine Existenz die schwerste andauernde Selbstvernichtungskrise, mit tödlichen Eingriffen und Attentaten auf die physisch-leibliche Existenz. (...) Ob ich mit Dr. Steiner persönlich - in letzter Stunde für mich -bekannt wurde, war für mich eine Lebens- oder Todesfrage.« 1919 übersiedelt Ballmer nach Dornach, im selben Jahr besucht Steiner den jungen Künstler im Atelier. 1920 wird er von Steiner zu drei Vorträgen über bildende Kunst ans Goetheanum eingeladen.2 Ende dieses Jahres verlassen Ballmer und seine Lebensgefährtin Dornach fluchtartig, im Sommer 1922 nehmen sie, nach Aufenthalten in Heidenheim und München, Wohnsitz in Hamburg. Ballmer wird zum Wahlhamburger; erst gegen Ende des 16jährigen Aufenthaltes in dieser Stadt, als nach 1935 der Druck der Bedingungen unter den Nationalsozialisten auf ihn, einen »entarteten« Maler und ein Mitglied der verbotenen Anthroposophischen Gesellschaft, und auf seine jüdische Frau immer stärker wird, beruft er sich auf seine schweizerische Herkunft und beharrt auf seinem Ausländerstatus. Die Hamburger Zeit kann in zwei ungefähr gleich lange Abschnitte unterteilt werden: In den zwanziger Jahren ist Ballmer vor allem stark anthroposophisch engagiert, seit etwa 1929 aber findet er hier seine künstlerische Heimat: Er ist akzeptiert als eigenwilliger Vertreter der Hamburger Avantgarde und wird zu den wichtigen Ausstellungen neuer Kunst eingeladen. Obwohl die Verhältnisse nach 1933 sowohl in künstlerischer wie in anthroposophischer Hinsicht immer schwieriger werden, verlassen Ballmers ihr geliebtes Hamburg erst 1938.

Gibt es eine stilistische Heimat für Ballmers Schaffen? Gewiss ist anthroposophisches Gedankengut für diese Malerei bestimmend, aber um anthroposophische Malerei im herkömmlichen Sinne handelt es sich nicht. Ballmer selbst nennt als Maler, die er schätzt, Arp, Picasso und Klee, aber auch Böcklin und Marees. Anklänge an Klee liessen sich in früheren Werken nachweisen, Picasso dürfte für gewisse figürliche Kompositionen eine Rolle gespielt haben, Marees und vielleicht auch der von Anfang an hochverehrte Böcklin könnten mit ihren Mehrfigurenbildern für Ballmers Figurenbilder der mittleren dreissiger Jahre wichtig gewesen sein. Aber das alles ergibt keine stilistische Heimat: Wenn der Versuch unternommen worden ist, Ballmer im Rahmen des Surrealismus in der Schweiz vorzustellen, so ist dies zwar verständlich - in welchem Umfeld von Schweizer Kunst sollte man ihn sonst zeigen? -, aber es ist doch ein hilfloser Versuch und es muss klar festgehalten werden: Ballmers Werk der dreissiger Jahre hat weder mit dem, was per definitionem mit Surrealismus umschrieben wird, noch mit der Schweizer Kunst jener Zeit irgend etwas zu tun. Ballmers äussere künstlerische Heimat ist das Hamburg der späten zwanziger und der frühen dreissiger Jahre, in den Jahren 1930 bis 1933 ist er, bei aller unbestrittenen Eigenständigkeit, ein Vertreter des hamburgischen »Sezessionsstils«. Weder für sein Schaffen vor noch für jenes nach dieser Zeit aber existieren auch nur annähernd griffige Stilbezeichnungen. Wir konzentrieren uns hier auf Ballmers Hamburger Zeit, auf seine wichtigsten Jahre als Maler. 1932 schreibt er in einem mit Karl Ballmer. Maler und Schriftsteller betitelten Text: »Meine Tätigkeit richtet sich zu ungefähr gleichen Teilen auf Malerei und Philosophie, wobei sich die beiden Seiten epochenweise ablösen.« Wenn Ballmer schreibt, dann malt er nicht, wenn er malt, dann schreibt er nicht: die Phasen lösen sich ab. Darüber hinaus gilt, dass er sich stets bemüht, nur im jeweilig praktizierten Medium zu formulieren. Er versteht sich nie als philosophierender Maler oder als malender Philosoph. Wenn er also schreibt, dann über das, worüber reflektiert und gesprochen werden kann, nicht aber über Malerei. Wenn es ihm aber um Malerei geht, dann äussert er sich ausschliesslich als Maler. Ballmer hat sich in seiner späteren philosophischen oder journalistischen Arbeit nur mehr ausnahmsweise und nie mehr so ausführlich über die Aufgabe des Künstlers ausgesprochen wie in den erwähnten, 1920 am Goetheanum gehaltenen Vorträgen über Kunst.

Am Anfang der Hamburger Zeit, wohl auch des gültigen Schaffens überhaupt, steht eine Gruppe von farbigen Werken auf Papier, die undatiert belassen, aufgrund diverser Indizien aber um 1920/22 zu datieren sind. Die Blätter sind, auch wenn nur wenige davon tatsächliche Collagen sind, allesamt collagemässig aus additiv nebeneinandergesetzten Elementen aufgebaut: Darum, und weil sie zum Teil stilistisch-formale Elemente enthalten, die wir erst aus der Malerei nach 1930 kennen, fällt es schwer zu bestimmen, ob einzelne nicht nachträglich überarbeitet worden sind. Dennoch kann mit einiger Berechtigung davon ausgegangen werden, dass wir in dieser so überraschend eigenständigen Werkgruppe jenes Kunstwollen erkennen dürfen, das Ballmer geleitet hatte, als er sich 1922 in Hamburg niederliess. Als Maler wird er aber erst um 1924/25 klarer fassbar. Die Werke sind nun, gerade auch gegenüber den erwähnten Blättern, durch eine starke Verdichtung und Zurückhaltung zu charakterisieren. Das Dargestellte präsentiert sich in vertikaler statuenhafter Konzentration. Figuren erscheinen als weitgehend abstrahierte, prägnante Blockformen, aus der die Gesichter oft nur aus zeichnerisch-linearen Angaben herauswachsen. Die unbewegten Gestalten mit ihren verschlossenen oder ins Unendliche schauenden Augen erinnern an vorzeitliche abstrakte Figuren, an chthonische Idole. Ein spätes Hauptwerk dieser wichtigen Phase vor Ballmers Sezessions-Zeit ist ein neutral nur mit Komposition (Kat. 112) bezeichnetes Gemälde, das um 1930 entstanden ist. Vermutlich ist es identisch mit einem Werk, das der Maler 1932 unter dem Titel Kinder in der Ebene ausgestellt hat. Das eindrückliche, angesichts seiner Entstehungszeit beklemmende Bild zeigt eine Gruppe versteinerter oder verholzter archaischer anthropomorpher Figuren in einer verödeten oder verbrannten Landschaft, innerhalb des Werkablaufes ist es zusätzlich von besonderer Bedeutung, als es zu den mehrfigurigen Kompositionen der dreissiger Jahre überleitet.

So schwierig die äusseren Umstände der dreissiger Jahre waren: die frühen dürfen als die glücklichen Jahre des Malers Karl Ballmer bezeichnet werden. Seit 1929 bestehen nachweislich Kontakte zu den fortschrittlichsten Künstlern der Hamburger Sezession, deren Mitglied er 1932 wird, seit 1930 wird er massgeblich gefördert durch Professor Max Sauerlandt, den Leiter des Hamburgischen Museums für Kunst und Gewerbe. Waren die zwanziger Jahre geprägt vom unbedingten Einsatz für die Sache der Anthroposophie, so beginnt das dritte Jahrzehnt mit der entschiedenen Hinwendung zur Malerei. Es sind zwei grosse Themen, die den Maler um und nach 1930 vorrangig beschäftigen: Während die eine Werkgruppe, und auf diese wollen wir uns hier konzentrieren, aus einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Figurenbild und mit der Darstellung des menschlichen Kopfes resultiert, und damit die Linie der gestalterischen Auffassung der zwanziger Jahre weiterführt, so nähert Ballmer sich mit seinen Landschaften einer inhaltlich entlasteten Malerei, die überraschend frei zwar und grosszügig ist, mit welcher er sich andererseits aber als typischer Vertreter der Hamburger Sezession zu erkennen gibt. Der Gleichzeitigkeit dieser beiden Stränge scheint für Ballmer auch eine Gleichwertigkeit entsprochen zu haben, dies belegen seine ausgewogenen Beschickungen von Ausstellungen; schon die zeitgenössische Kritik differenzierte allerdings zwischen den Landschaften und den Portraits und ordnete die verschiedenen Gattungen auch jeweils verschiedenen Stufen oder Schichten der Erkenntnis- und Erlebnisfähigkeit zu. In seinen Figurendarstellungen respektive Portraits, die von der Kritik in einer tieferen Schicht angesiedelt wurden, ging es dem Idealisten Ballmer immer um die Darstellung des Wesens des Dargestellten, naturalistische Bildnisse sind von ihm nicht zu erwarten: Explizit bemühte er sich beim Portrait um die Darstellung dessen, was dem Fotoapparat und auch dem nur sehenden Auge verborgen bleibt.

Es gibt zwar nicht wenige von Ballmer gemalte Bildnisse (wenn wir sie denn so nennen wollen), aber nur wenige Personen, die er eines Portraits für würdig erachtete. Fast immer werden uns die Portraitierten als Sehende, als richtig Erkennende vorgestellt. Beim Kopf in Rot, um 1930/31 (Kat. 111), dem vielleicht bekanntesten Gemälde Ballmers überhaupt, umfängt ein roter Kontur das Gesicht, dieser gehört aber ebenso der roten, mit Gold unterlegten Umraumsphäre des Bildgrundes an, und er verschliesst sich auch nicht dem eindringenden Blau oben rechts. Die Gesichtselemente Augen, Nase und Mund erscheinen gleich sam schwebend auf dem hinter dem Gesicht durchziehenden weiss gehöhten Rot und den verschieden intensiven Blautönen. Offen bleibt damit, ob der Dargestellte - im Sinne von Novalis -passiv hinein oder aktiv hinaus blickt. Die Interpretation ist naheliegend, dass Ballmer sich selbst als intuitiv Wissenden im Sinne des Spinoza dargestellt hat, als Erkennenden also, der durch seine Erkenntnis am universalen Geist teilhat. Verschiedentlich, so schon 1920 in seinen Dornacher Vorträgen, spricht Ballmer über den »inneren aktiven Sehsinn des Auges«, der nicht bloss eine rezipierende Tätigkeit ausübe, sondern eine schöpferische konstitutive Kraft sei. Nur in Hamburg malt er Landschaften, diese, zwischen 1930 und 1934 entstandenen, gehören allerdings zu den schönsten Werken des Malers überhaupt. Der Sezessionsstil, von dem wir in diesem Zusammenhang sprechen dürfen, ist für die figürlichen Werke, die nun wiederum zu den interessantesten des Malers gehören, weniger bestimmend. Es scheint, dass Ballmer sich in der »themalosen« Landschaft eher die Freiheit zubilligt, lustvoll eine reine Malerei zu betreiben: eine Freiheit, die er sich in den inhaltlich und gedanklich belasteteren Werken nicht erlaubt. 1932 beginnt er, Landschaft und Figur dadurch zu verbinden, dass er die Figuren als Konturlinien über den Bildgrund legt, diesen wiederum, mit der Landschaftsangabe, ununterbrochen hinter den transparenten Figuren durchlaufen lässt. 1933/34 entsteht, bedingt durch die äusseren Umstände, als vorläufiger Abschluss des malerischen Werkes eine Gruppe relativ grossformatiger Ölbilder, in denen sich figürliche Themen - solche des Begegnens, des Erkennens, des Teilhabens an einem gemeinsamen Universellen - mit einer befreiten Malerei souverän verbinden. Dieser virtuose Umgang mit der Malerei bricht 1934 ab, kontinuierlich weitergeführt wird vorerst nur die Arbeit auf Papier. Aber die Szenerie verdüstert sich in jeder Hinsicht. 1938 kehren Ballmers in die Schweiz zurück. Die Rückkehr bedeutet für sie jedoch viel eher Emigration als Heimkehr. Die späten Jahre im Tessin müssen als die einsamen Jahre des Malers bezeichnet werden. Nur zaghaft beginnt Ballmer um 1946 wieder mit der Malerei; in den Jahren 1953 bis 1957 entsteht als Abschluss eines überaus komplexen Gesamtwerkes eine Gruppe grossformatiger Figurenbilder, die zwar von einem düstertonigen Grundklang und einer veränderten Figurenauffassung bestimmt werden, dennoch aber die Beziehung zum früheren Schaffen nicht verleugnen.

Weder die offizielle Schweizer Kunst noch die dazu in Opposition stehende Avantgarde nehmen nach dem Krieg vom Maler Notiz. Ballmer pflegt nur mit wenigen Personen Kontakt, zu diesen gehört der damalige Leiter der Aargauischen Kunstsammlung, Guido Fischer, der mit dem Künstler zusammen eine Ausstellung plant. Das Aargauer Kunsthaus wird aber erst 1959, ein Jahr nach des Malers Tod, eingeweiht. So war 1960 eine der ersten Ausstellungen in unserem Haus seinem Schaffen gewidmet, und Ballmers Werk, das auch von Fischers Nachfolger Heiny Widmer hoch verehrt und mit besonderer Sorgfalt gepflegt wurde, gehört seither zu den Schwerpunkten unserer Sammlung. 1990 organisierten wir nochmals eine repräsentative Retrospektive, gleichzeitig publizierten wir die erste umfassende Monographie. Trotz dieser Anstrengungen ist der Zugang zum schwierigen Werk von Karl Ballmer, das innerhalb der Schweizer Kunstgeschichte nicht leicht einzuordnen ist, einer breiteren kunstinteressierten Öffentlichkeit weithin versagt geblieben. Ballmer ist weitgehend der grosse unbekannte Maler geblieben, als den ihn schon 1945 Samuel Beckett beschrieben hat.3 Von den wenigen jedoch, die sich der anspruchsvollen Herausforderung seiner Malerei stellen, wird diese überaus hoch geschätzt. Im Anschluss an jene Ausstellung kam es 1990 mit dem Nachlassverwalter zur Gründung der Karl Ballmer-Stiftung, die mit ihrem umfangreichen Besitz an Werken und Dokumenten im Aargauer Kunsthaus domiziliert ist.

B.W.

1 Alle Ballmer-Zitate aus der Biographie in: Kat. Aarau, 1990, S. 153ff.

2 Karl Ballmer, Drei Vorträge über Kunst (1920), hrsg. von Hans Gessner, Besazio 1973.

3 Siehe: Samuel Beckett, Die Welt und die Hose, Frankfurt a.M. 1990, S. 8.


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