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Mittwoch, 1. Oktober 2003 Die verfluchten Jungfern-Squaws von HamburgNicht unbekannt, sondern umrahmt von Geschichten: Samuel Becketts „Unbekanntes Tagebuch“ des Deutschlandbesuches im Jahre 1936.
[Aus der Website der Süddeutschen Zeitung, Bereich Literatur/Buchkritik] [Mittwoch, 1. Oktober 2003, München Seite 16 · Bayern Seite 16 · Deutschland Seite 16] „Sogar das Zuhören ist anstrengend und zu sprechen: ausgeschlossen“, schreibt er sich ins Tagebuch und das letzte Wort extra auf Deutsch, in der Sprache, die er allen Widerständen zum Trotz lernen will. Er hat, zur Vorbereitung, schon beide Teile des „Faust“ gelesen, exzerpiert und ausführlich kommentiert, kennt Walther von der Vogelweides Lieder, und Goethes „Harzreise im Winter“ hat ihn sogar schon zu einem eigenen Geier-Gedicht angestiftet. Eine Liebschaft zog ihn nach Kassel vor Jahren, eine entfernte Cousine, die Peggy, mit der er Fontanes „Effi Briest“ las und durchs Schilf ruderte. Noch im „Letzten Band“ (1958) quält sich Krapp mit der Erinnerung an die Doppelliebe: „Sah mir die Augen aus dem Kopf, indem ich wieder einmal Effi las, eine Seite pro Tag, wieder unter Tränen, Effi . . .“. Gilt die Wallung des alten Mannes der Effi im Buch oder doch der Leserin damals? „Hätte mit ihr glücklich sein können, da oben an der Ostsee, und die Kiefern und die Dünen.“ Aber sie hat einen andern längst, und Beckett ist nach Irland zurückgekehrt, lebensunwillig und auf keinen Fall bereit, sich redlich zu ernähren. Phantastereien: nach Spanien könnte er gehen und bewirbt sich vorsorglich auch nach Südafrika. Im März 1936, in den letzten Zügen seines ersten Romans „Murphy“, schreibt Beckett einen Brief an Sergej Eisenstein nach Moskau und fragt den berühmten Regisseur, ob er ihm als Praktikant dienen dürfe. Zwar ist das Kino längst nicht mehr tonlos, aber Beckett glaubt weiter an den Stummfilm. Der farbige Tonfilm ist für alle da, gewiss doch, und deshalb meint Beckett, dass „ein Reservat geschaffen werden könnte für den zweidimensionalen Stummfilm“. Und für Beckett. Dreißig Jahre war er nun schon alt und lungerte immer noch zu Hause herum, las und trank und wollte mit seinem Leben nichts anfangen, auf keinen Fall etwas, mit dem, wie ihm die Mutter immer wieder empfahl, Geld zu verdienen war. Lieber lässt er sich Geld von ihr geben, für eine Reise. Eine Reise nach Deutschland, zum Vogelweidner und Goethe und Peggy. „Aber was wird Deutschland anderes sein, 6 (?) Monate lang, als bloß herumlaufen?“ schreibt er sich bänglich ins Tagebuch, denn warum sollte sich ausgerechnet in Hamburg seine Grundstimmung aufhellen? „Grässlich, diese ständige Schlappheit und Melancholie“, die sich, erstaunlich genug, in Hamburg vorübergehend heben wird. In vielen Zungen schweigen Samuel Beckett will unbedingt Deutsch lernen, bezahlt jemanden für Konversationsstunden, sucht Anschluss in seiner Pension, besucht Künstler im Atelier, spricht mit ihnen über moderne Kunst rücksichtlich der Leibniz’schen Monadologie. Anfangs zweifelt er noch an seiner Sprechfertigkeit: „How absurd this trouble to learn to be silent in another language.“ Wie absurd die Mühe, in einer anderen Sprache stumm sein zu lernen: Nie hat Beckett schöner formuliert, worauf es ihm ankommt, das Schweigen in vielen Zungen. Er wird dieses Programm in den nächsten fünfzig Jahren hingebungsvoll verfolgen, immer noch weiter, immer mehr dem Verstummen zu, bis er sich im Sommer 1989, nach dem Tod seiner Frau, in ein Alters- und Pflegeheim zurückzog und kein Wort mehr brauchte. Keiner konnte musikalischer, lyrischer schweigen als Samuel Beckett. Deshalb ist man für jedes Fitzelchen dankbar, das einem diesen Verstummungszwang erläutert. In der Raamin-Presse (Blankeneser Chaussee 96, 22869 Schenefeld) erscheint zur Buchmesse das sogenannte „Unbekannte Tagebuch“, das Beckett in jenem grässlichen Jahr 1936 führte. Es ist keineswegs unbekannt und es ist auch nicht vollständig. Vor etlichen Jahren entdeckte Becketts Neffe und Nachlassverwalter Edward in einem Keller in der Rue Saint-Jacques 38 in Paris in einer Kiste sechs Tagebuchhefte, von denen jetzt das erste veröffentlicht wird. Zuvor durfte es nach dem Willen des Nachlassverwalters nur der Anglist James Knowlson nutzen, den Beckett noch selber zu seinem Biografen bestellt hatte. Aus den Zitaten, die in Knowlsons Buch „Damned to Fame. The Life of Samuel Beckett“ (1996; deutsch 2001 unter dem Titel „Samuel Beckett. Eine Biographie“) angeführt waren, montierte das Deutschandradio Berlin bereits vor drei Jahren ein sicherlich ziemlich illegales Hörstück, das am 3. September 2000 seine Aufführung erlebte. Die Notate aus Hamburg erscheinen unter dem Titel „Alles kommt auf soviel an“. Sie schildern die Abreise unseres Bildungsreisenden aus Irland, den Weg über London und Le Havre, die Ankunft in Hamburg am 2. Oktober und den Aufenthalt dort, bis Beckett die Stadt am 4. Dezember 1936 wieder verlässt. Anschließend reist er über Hannover, Braunschweig und Wolfenbüttel (wo er sich eine Lessing-Gesamtausgabe kauft) nach Berlin. Überall besucht er Museen, klappert die Sehenswürdigkeiten ab und beklagt sich, nur „das Zwanzigstel von dem anzusehen, das ich sehen wollte, d.h., das Fünfzigstel von dem, was es zu sehen gibt“. Es ist ein nasskalter Herbst und Winter, Beckett leidet wie schon zu Hause unter Furunkulose (die im jetzt veröffentlichten Teil sorglich fortbleibt), ein Finger eitert (er schneidet ihn sich auf) und vor allem unter Einsamkeit. In einem Brief aus München vom 30. März 1937 gedenkt er immerhin der vielen Huren, die er in Dresden zu sehen bekam. Erika Tophoven hat die Hamburger Aufzeichnungen transkribiert, die Autorin und Buchkünstlerin Roswitha Quadflieg hat das Buch mit zwei Leporelli und schönem Papier so kostbar gestaltet, dass es in einer Auflage von 150 Exemplaren und zum Preis von 1000 Euro erscheinen kann. Auf eine Übersetzung wurde verzichtet, denn das englische Original ist stark durchsetzt mit deutschen Worten („Eintopfsonntag“, „brieflagernd“, „Kraft durch Freude“), die Beckett wie ein Lumpensammler aufliest, für spätere Verwendung anhäuft. War das nicht ein Heiliger? Die Verlegerin und Buchkünstlerin Roswitha Quadflieg hat die täglichen Einträge ausgiebig und erfreulich unwissenschaftlich in Randglossen kommentiert. Sie ist den Namen nachgegangen, die bei Beckett auftauchen, und hat sogar noch Überlebende aufgespürt wie den Kaufmann Franz Peter Martion. „Typical young German sentimental Kaufmann“, schreibt Beckett über ihn am 11. Oktober, „anständig all the time, wringing nervous hands, etc.“ Als Roswitha Quadflieg den inzwischen 90-jährigen am Telefon erreicht und nach Beckett fragt, gibt der zurück: „War das nicht ein Heiliger?“ (Da hat er zwar Recht, meinte aber trotzdem den Märtyrer Thomas Becket.) Mit Händeringen und Selbstmitleid war im Herbst 1936 nichts mehr auszurichten. Für die Zeit der Olympischen Sommerspiele in Berlin hatte Hitler den Künsten Liberalisierung verordnet, die jetzt rasch wieder einkassiert wurde. Goebbels ließ seine Leute Bilder beschlagnahmen, die im Jahr drauf als „entartet“ vorgeführt wurden. „Alle Klowärter sagen Heil Hitler“, klagt Beckett seiner Freundin Mary Manning Howe, mit der er im Sommer eine heftige Affäre gepflogen hatte. Er macht sich einen Spaß daraus, beim Horst-Wessel-Lied der „SS Blasekapelle“ den falschen Arm auszustrecken. Bei den Malern Karl Ballmer, Karl Kluth und Willem Grimm findet er die Bilder, die es nicht mehr geben soll. Als er in München beim Verleger Piper nach Zeichnungen des verbotenen Ernst Barlach fragt, kriegt es Ernst Piper mit der Angst. Längst nicht alle, mit denen der sonst so abweisende und menschenscheue Beckett spazieren ging, über deutsche Literatur sprach, deren Bilder er bestaunte oder abfällig kommentierte, waren nach 75 Jahren noch zu identifizieren. Der junge Literaturwissenschaftler war noch nicht einmal Autor, er war, auch wenn er daheim in Irland das eine oder andre Gedicht veröffentlicht haben mochte, vollkommen unbekannt. Wie sollte er da Spuren hinterlassen? Von James Joyce, dem er in Paris zugearbeitet hatte, wusste man im „Dritten Reich“ nichts; das Manuskript seines „Murphy“ begann eben erst von den Verlagen abgelehnt zu werden. Im Atelier einer Frau Durrieu ließ sich Beckett widerstrebend von „einer Menge verfluchter Jungfern-Squaws“ zeichnen. Er fand seinen Kopf erwartungsgemäß „unsäglich“, aber noch fehlt jede Version dieser seltsamen Zeichenstunde für Hamburgs höhere Töchter. Nicht weniger verblüffend ist der Äußerungsdruck in diesen Aufzeichnungen. Der Dichter, der später extrem verdichtete und verrätselte, mit immer weniger Worten auszukommen suchte, seine Texte womöglich zu musikalischen Variationen über ein einziges Wort machte, dieser Wortgeiz- und -kärgling schreibt in diesen Jahren unermüdlich. Im Tagebuch notiert er alles schülerfleißig, und in Briefen an verschiedene Freunde referiert er das Gesehene noch einmal. Zu Hause in Dublin hat er neben der Arbeit an „Murphy“ seine Französisch- und Italienisch-Kenntnisse fortgetrieben, aber vor allem seinen Privatkurs in der englischen Literaturgeschichte verlängert. So wenig er auch entlegenere Stücke von Thomas Dekker oder minder bedeutende Romane von Henry Fielding überging, so gründlich arbeitete er sich in Deutschland durch die Galerien. In Hamburg besucht er dessen einziges halbwegs nennenswertes Museum, die Kunsthalle, gut zehn Mal in neun Wochen und macht sich hier wie später in Berlin, Dresden und München umfangreiche Notizen zu den Bildern. In München immerhin ein Lichtblick: Er sieht Karl Valentin. „Wirklich ein erstrangiger Komiker, Depression ausschwitzend, vielleicht schon im Abstieg.“ In der Hamburger Buchhandlung Saucke lernt Beckett den Jungbuchhändler Günter Albrecht kennen und freundet sich mit ihm an. Dessen „unwirklich große Familie“ lebte im Stadtteil Horn. Der Vater war als Kaufmann gescheitert, lebte von einer kleinen Rente, die Kinder, der 20jährige Günter war der Älteste, mussten dann mitverdienen. In einer Kiste, die in der Familie weitergereicht wurde, fanden sich zwei Briefe und zwei Postkarten, die im Frühjahr dieses Jahres als von Beckett stammend identifiziert wurden. An Silvester 1936 schrieb Beckett in einem fast makellosen Deutsch aus Berlin an Albrecht über die weitere Strecke. Inzwischen hat er Gottfried Kellers „Grünen Heinrich“ zu lesen begonnen und in Hannover erfahren, dass man die Echtheit des dort liegenden Leibniz-Skeletts durch eine gründliche Untersuchung der großen Zehe festgestellt habe. Man ist halt Solipsist Trotz Nässe und Kälte bleibt ihm Hamburg noch Jahrzehnte erhalten. Der Friedhof in Ohlsdorf kehrt in der Erzählung „Erste Liebe“ wieder. „Autobusse kommen und fahren ab; sie sind zum Bersten voll mit Witwern, Witwen und Waisen. (...) Es war Dezember, ich habe nie so arg gefroren, die Aalsuppe war mir nicht bekommen, ich hatte Angst vor dem Tod, ich blieb stehen, um mich zu übergeben, ich beneidete sie.“ Und einer Erinnerung an Hamburg gilt schließlich auch einer der letzten Texte Becketts. 1989 erschien in einem Ausstellungskatalog für den holländischen Maler Bram van Velde eine Beckett-Miniatur mit dem Titel „Die Welt und die Hose“. In Hamburg hatte er der Witwe des Galeriedirektors Max Sauerlandt dessen Buch über die moderne Kunst abgekauft und fand es enttäuschend. „Wenn Sauerlandt sich feinsinnig und – seien wir gerecht – sparsam über den großen unbekannten Maler Ballmer äußert, wohin trifft das? Das geht mich nicht an, sagte Ballmer, der unter den Schriften des Herr Heidegger aufs grausamste litt.“ Beckett zwischen Heidegger und Rudolf Steiner – dieses Thema hat der Wissenschaft noch gefehlt. Andererseits kann die Welt auf die Wissenschaft ganz gut verzichten, solang ihr so aufschlussreiche Aufzeichnungen wie die Becketts zufallen. Wie aber hält er es nun wirklich mit der Anthroposophie? Der Schweizer Karl Ballmer stand wie sein Kollege Willem Grimm den Anthroposophen nahe. In München, kurz vor dem Ende seiner Deutschlandreise, suchte Beckett einen weiteren Anthroposophen auf, den Maler Edgar Ende (und Vater des später weltberühmten Michael Ende). Seufzend meldet das Tagebuch über dieses Gespräch: „Dass Kommunikation unmöglich ist, gibt er mir nicht zu. Ich sage am Ende, man ist halt Solipsist, oder eben nicht.“ Das Gespräch mit der Kunst war gescheitert, Beckett fuhr zurück nach Irland, das er jedoch bald verließ, um fortan in vielen Sprachen zu schweigen. WILLI WINKLER SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de |