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Donnerstag, 29. September 1966

„Ernst Haeckel und Rudolf Steiner. Ernst Haeckels Zustimmung zur Ethik Rudolf Steiners“

Johannes Hemleben zur Neuauflage von Karl Ballmers Schrift.

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Verlag Fornasella, Besazio (Schweiz), 1965

[Aus: Mitteilungen der anthroposophischen Arbeit in Deutschland, Michaeli 1966]

Aus der Fülle der Schüler, die sich gegen das Lebensende Rudolf Steiners um ihn versammelt hatten, ragte Karl Ballmer (1891-1958) durch Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit des Denkens hervor. In Stirners Grundthema „Der Einzige und sein Eigentum“ kann man ein Leitmotiv für das Leben Karl Ballmers sehen. Ursprung und Wesen, Selbstfindung und Selbstverantwortung des menschlichen Ich war das zentrale Anliegen, um welches das Denken Karl Ballmers kreiste. Alle „Gefühlsduselei“ war ihm verhasst. Die Restbestände theosophischer Unklarheiten wurden rücksichtslos von ihm angeprangert. Nur, was die Feuerprobe des reinen Denkens bestand, wurde angenommen. Da aber die Fähigkeit des „reinen Denkens“ schwer zu erringen ist, fand Ballmer viel Anlass zur Kritik. Zuweilen fragt man sich, was Ballmer wohl sagen würde, wenn er – man verzeihe dieses Gedankenexperiment – einen Aufsatz von Karl Ballmer zu beurteilen hätte und sich nicht erinnerte, dass dieser aus seiner eigenen Feder stammte? – Seine gedankliche Aggressivität war herzerfrischend, manchmal jedoch schoss sie nicht unerheblich über das Ziel hinaus. Aber wie könnte das bei einem so „militanten“ Denker auch anders sein.

Es ist kein Zufall, dass die schweren Angriffe, die schon zu Lebzeiten Rudolf Steiners gegen die Anthroposophie vor allem von Gliedern der römisch-katholischen Kirche erhoben wurden, vorwiegend auf das Verhältnis Steiners zu Haeckel zielten. Denn schließlich ist es Ernst Haeckel gewesen, der seine „Welträtsel“ mit den Sätzen geschlossen hat: „Der Monismus … lehrt uns die ausnahmslose Geltung der ‘ewigen, ehernen, großen Gesetze’ im ganzen Universum. Damit zertrümmert derselbe aber zugleich die drei großen Zentral-Dogmen der bisherigen dualistischen Philosophie, den persönlichen Gott, die Unsterblichkeit der Seele und die Freiheit des Willens.“ Man muss verstehen, dass es ganz gewiss nicht nur böser Wille zu sein braucht, der daran Anstoß nimmt, dass Rudolf Steiner auch nach Erscheinen der „Welträtsel“ sich zu Ernst Haeckel bekannte. Für das „normale Denken“ war Haeckel der weltbekannte Leugner von Gott, Unsterblichkeit und Freiheit. Wie kann, so fragt sich der durchschnittlich gebildete Europäer und Christ, Rudolf Steiner für diesen ‘Antichristen’ eintreten, ihm seine „Rätsel der Philosophie“ widmen, eine Verteidigungsschrift („Ernst Haeckel und seine Gegner“) verfassen und sich gar zu dem Satz steigern: „Unsere Aufgabe ist es, zu zeigen, dass Haeckel da, wo er zu Hause ist, nichts anderes ist als Anthroposoph.“ – ? Derselbe Rudolf Steiner, der eine neue Christologie und damit auch ein neues Verhältnis zum Vatergrund alles Seins verkündete, die Lehre vom Leben des Menschen nach dem Tode so ausführlich zur Darstellung brachte und eine „Philosophie der Freiheit“ schrieb, stellt sich auf die Seite des Leugners von Gott, Unsterblichkeit und Freiheit! Wer kann das begreifen? Jedenfalls sollten Anthroposophen verstehen, dass hier eine ungewöhnliche Erkenntnisaufgabe vorliegt, die es insbesondere für den zu bewältigen gilt, der Anthroposophie vor der Welt zu vertreten gewillt ist. Es ist das Verdienst Karl Ballmers, als erster unter den Schülern Rudolf Steiners auf diese zu erfüllende Aufgabe hingewiesen zu haben. Da der Aufsatz Ballmers: „Ernst Haeckel und Rudolf Steiner“, in dem dieser Hinweis erfolgte (Heft 2 der Sonderveröffentlichungen der „Rudolf Steiner-Blätter“, 1929 in Hamburg erschienen), seit langem vergriffen war, ist es zu begrüßen, dass Hans Gessner im Fornasella Verlag, Besazio (Schweiz), 1965 eine Neuauflage herausgab. Man möchte annehmen, dass diese Schrift manchem Leser von „Rudolf Steiner und Ernst Haeckel“ (Johannes Hemleben, Verlag für Freies Geistesleben, Stuttgart. Siehe auch den Aufsatz von Fritz Götte in diesen „Mitteilungen“, Weihnachten 1965) als Ergänzung willkommen sein wird. Einer möglichen Enttäuschung möchten wir zuvor begegnen. Ballmers Aufsatz hat den Untertitel „Ernst Haeckels Zustimmung zur Ethik Rudolf Steiners“. Diese Aussage wird begründet mit Sätzen, die sich in einem Artikel Ernst Haeckels finden, welchen dieser anlässlich der Begründung der „Gesellschaft für ethische Kultur“ in Maximilian Hardens „Zukunft“, unter dem Titel „Ethik und Weltanschauung“, 1892 geschrieben hat. Zuvor schon hatte Rudolf Steiner gegen die Ziele der „ethischen Gesellschaft“ in zwei Beiträgen Stellung genommen. Die Sätze Haeckels lauten: „Insbesondere stimme ich den Einwürfen bei, welche unter anderem Herr Rudolf Steiner (Weimar) im 5. Heft der ‘Zukunft’ geäußert hat. Auch ich muss bei der Überzeugung beharren, dass die großen ethischen Fragen nicht ohne ihre Beziehung zur ‘Weltanschauung’ und zur ‘Religion’ gelöst werden können; nicht die überlebten mystischen Dogmen der Kirche, sondern die klaren, vernünftigen Erkenntnisse der Wissenschaft liefern uns die Grundsteine zu dieser ersehnten neuen Weltanschauung.

Gewiss, diese Sätze enthalten ein umfangreiches Aufgaben-Programm. Wenn man aber überblickt, was Haeckel unter „klaren, vernünftigen Erkenntnissen der Wissenschaft“ verstand, dann weiß man auch, wie weit er für sein Bewusstsein von den Inhalten der Anthroposophie einschließlich der in der „Philosophie der Freiheit“ begründeten Ethik Rudolf Steiners entfernt war. Es muss für ausgeschlossen gehalten werden, dass Haeckel je die „Philosophie der Freiheit“, die zwei Jahre nach den Aufsätzen in der „Zukunft“ 1894 erschien, gelesen hat. In Wirklichkeit hat er sich in den Jahren 1892 bis 1901 nur soweit mit Steiner beschäftigt, als dieser ihm Hilfestellung leistete. Für Wesen und Mission Rudolf Steiners war Haeckel uninteressiert und blind. Er hat weder den „Goetheanisten“ Steiner verstanden, noch sich die Mühe gemacht, in dessen grundlegende erkenntnistheoretische Schriften einzudringen. Als seinerzeit versucht wurde, für Rudolf Steiner einen Lehrstuhl oder wenigstens einen Lehrauftrag für Philosophie an der Universität Jena zu erlangen, versagte Haeckel die Hilfe. Von einer „Zustimmung zur Ethik Rudolf Steiners“ im substantiellen Sinne kann also keine Rede sein. Das Versprechen des Untertitels wird in Ballmers Schrift nicht eingelöst. Dieser für jeden unbefangenen Leser leicht zu durchschauende Tatbestand ist nicht der einzige Grund, warum ich Ballmers Schrift für Anthroposophen zwar äußerst anregend finde, es aber nicht für ratsam halte, diesen Aufsatz in der Welt, die eine solche Arbeit ohne geisteswissenschaftliche Voraussetzungen liest, zu verbreiten. Neben wesentlichen, Tiefenschichten berührenden Sätzen, finden sich bei Ballmer andere, die durch ihre Pointierung leicht Missverständnisse wecken können: „Die Welt ist durch den Menschen“ oder „Der Mensch ist somit das von den Philosophen gesuchte göttliche Urwesen …“

Sicher bleibt Ballmer mit solchen überspitzten Aussagen in der Nähe der Gedankenbildungen des „Frühwerkes“ Rudolf Steiners. Aber gerade vom Stil seiner eigenen Formulierungen aus den neunziger Jahren hat Rudolf Steiner selbst später mit deutlichen Worten Abstand genommen – – ohne damit den Sinn des ursprünglich Gemeinten zu verleugnen. Man lese auch in „Mein Lebensgang“ nach, wie er rückblickend z. B. über die Jahre seiner Freundschaft mit Mackay, dem bedeutenden Stirner-Interpreten, gedacht hat. Es ist, als ob Ballmer sich – im Gegensatz zu vielen Anthroposophen – so sehr in das Frühwerk Steiners eingelebt hat, dass es ihm schwer wird, die gleiche Metamorphose der Begriffsbildung durchzuführen, die Steiner selbst nach der Jahrhundertwende vollzog. Hierfür vergleiche man die erste Auflage der „Philosophie der Freiheit“ mit der später stilistisch nicht unwesentlich überarbeiteten neuen Ausgabe.

Um so begrüßenswerter ist es, dass Ballmer auf eine Seite im Lebenswerk Steiners den Blick lenkt, die sonst sehr leicht übersehen wird: die Geistigkeit des Leiblichen. Ballmer greift die Ablehnung der sogenannten „Klaviertheorie“ auf, die Rudolf Steiner in seiner Schrift „Haeckel und seine Gegner“ ausspricht. Der Körper, der Leib des Menschen ist berechtigterweise nicht einem Instrument vergleichbar, auf dem die Seele wie ein Musiker auf seinem Klavier spielt. Denn der Leib als solcher ist, solange er vom Leben durchzogen wird, selbst eine unmittelbare Offenbarung des Geistes. „Der Menschenleib hat einen dem Denken entsprechenden Bau. Dieselben Stoffe und Kräfte, die auch im Mineralreich vorhanden sind, finden sich im menschlichen Leib so gefügt, dass sich durch diese Zusammenfügung das Denken offenbaren kann.“ So steht es in der „Theosophie“ (8. Aufl., S. 21). Wer hier mit Verständnis zu folgen vermag, der durchschaut auch das Unzureichende eines Vergleiches des Gehirnes mit einem Instrument, auf dem der Denker spielt. Wenige Sätze weiter rührt Ballmer an eines der tiefsten Geheimnisse der Erde überhaupt: „… dass … die Hingabe eines einzigartig vollkommenen Leibes an die Welt und Menschheit das Entscheidende des Christusereignisses ausmacht.“ Auch hier werden Theologen Einwände erheben, ja erheben müssen, weil nicht zugleich von der Hingabe des Christus-Geistes bei Ballmer die Rede ist. Wer sich aber bemüht, zu verstehen, worauf Ballmer zielt, was er eigentlich im Auge hat, wird gerade in dem Zusammenhange, in dem es ausgesprochen wird – in der Verbindung des Wollens und Wirkens Rudolf Steiners und Ernst Haeckels – , einen solchen in die Tiefe des Leib-Geist-Problems führenden Gedanken gern aufnehmen. Dies ist nicht der einzige Gedanke, durch den Ballmers Arbeit auch heute noch wertvoll ist. Es ist gut, dass sie neu erschien und damit das Studienmaterial bereichert, das wir so dringend brauchen, um in uns die Fundamente der Anthroposophie gegen jede innere Unklarheit und gegen äußere Angriffe abzusichern. Ballmers Denkart ist ausgesprochen anti-philiströs, d. h. sie ist durch ihre Radikalität in hohem Maße unbequem und gegen die so verbreitete und wirksame Denkträgheit gerichtet. Man spürt bei ihm den „Willen im Denken“, zuweilen auch mehr das „Gewollte“ als das Aufgelichtete, aber stets bringt er das zum Stagnieren Neigende in Fluss. Ja, Ballmers Gedanken bilden selbst ein Flussbett, in dem es sich zu baden lohnt. Ob für jeden das Bad heilsam ist, das ist eine andere Frage, die ich nicht – schon gar nicht mit erhobenem Zeigefinger – beurteilen möchte. Da muss jeder selbst sehen, was und wieweit es ihm bekömmlich ist, in diesem „Strom“ unterzutauchen.

Auf jeden Fall ist es zu begrüßen, dass Hans Gessner sich des Nachlasses von Karl Ballmer liebevoll angenommen hat und dafür Sorge trägt, dass die Gedanken Ballmers unter uns lebend wirksam bleiben.

[Es folgt noch eine Auflistung weiterer Schriften Ballmers]

Johannes Hemleben


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